Der Neckar - ehemals "wilder Fluss"
Der Neckar ist ein nahezu rein baden-württembergischer Fluss und ein besonderer dazu. Er entspringt im Schwarzwald bei Villingen-Schwenningen und mündet bei Mannheim in den Rhein. Seine Lauflänge beträgt insgesamt 367 km. In seinem Verlauf prägte er Landschaften, Menschen und Kulturen. Allgemein gebräuchlich ist für den Neckar eine grobe Längseinteilung in drei Hauptabschnitte:
Abschnitt | Flusskilometer | Strecke |
---|---|---|
Unterer Neckar | F-km 0 - 100 | Mündung Rhein bis Mündung Kocher |
Mittlere Neckar | F-km 100 - 250 | Mündung Kocher bis Tübingen |
Oberer Neckar | F-km 250 - 367 | Tübingen bis Quelle |
Es wird berichtet, dass die Schifffahrt im ursprünglichen Neckar so schwierig war wie in keinem anderen deutschen Strom. Gefürchtet war der Neckar wegen „seiner raschen Strömung, dem starken Gefälle, den vielen Stromschnellen und Felsenschwellen, den engen Krümmungen, der geringen Wassertiefe, den oft wechselnden Wasserständen, langandauernder Nieder- und Hochwasser, Frost und stauendem Eisgang.“ Somit zeigte der Neckar im natürlichen Lauf alle Merkmale eines hochdynamischen Gewässers. Aus dieser Dynamik heraus gestaltete der Neckar in seinem Urzustand zwangsläufig eine hohe Vielfalt an Lebensraumtypen für Fische in ständigem Wechsel. Flussdynamik, also das Wechselspiel zwischen Zerstörung und Neubildung mit den Elementen Wasser, Holz und Geschiebe, prägte insbesondere den Unteren Neckar im Zusammenfluss zum Rhein.
Dem natürlichen Gefälle entsprechend ist der frühere, ungestaute Untere Neckar der Barbenregion zuzuordnen. Auffällig ist der Übergang vom Odenwald-Neckar in den sog. Rhein-Neckar der Rheinebene. Im Odenwald ist der Neckar durch die umgebende, streckenweise tief eingeschnittene Hügellandschaft von Natur aus stärker in seinem Verlauf festgelegt. Eine Aue fehlt über weite Strecken. Nach seinem Eintritt in die Rheinebene wies der Neckar in seinem ursprünglichen, ungehinderten Verlauf ausladende Mäander auf. Erste Durchstichversuche am Neckar erfolgten bereits bei den Römern. Bei seinem Austritt aus dem Odenwald hat der Neckar ein mittleres Gefälle von ca. 1,5%, unterhalb von Ladenburg reduziert sich dieses auf etwa 0,3-0,1%.
Bedeutende Nebenflüsse des schiffbaren Neckars sind Fils, Rems, Murr, Enz, Kocher, Jagst, Elz und Elsenz. Der Untere Neckar erhält mit seinen Nebengewässern Elz, Elsenz und Itter einen vergleichsweise geringen Zufluss. Signifikante Abflusserhöhungen im Neckar bewirken die Zuflüsse von Jagst und Kocher, bei etwa F-km 100, welche damit den Beginn des Unteren Neckars markieren. Unterhalb der Jagstmündung verdoppelt sich der Neckarabfluss im Vergleich zum Neckar oberstrom der Kochermündung. Der mittlere Abfluss über die Jahresreihe 1991 - 2000 liegt am Pegel Heidelberg bei 144,9 m³/s. Mittlere Niedrigwasserverhältnisse sind mit 42,1 m³/s angegeben. Große Hochwasserereignisse liegen bei über 2.000 m³/s, wie sie beispielsweise in den Jahren 1993 und 1994 auftraten.
Der Rhein staut bei Hochwasser weit in den Neckar ein. Die heute einzige erhaltene Neckarschleife im Unteren Neckar liegt bei Ilvesheim, im sogenannten Wehrarm Ladenburg. Weitere Altneckarabschnitte befinden sich bei Wieblingen, Horckheim und Esslingen. In den Wehrarmen liegen auf wenigen hundert Metern flussabwärts der Wehre überwiegend heterogene Sohlstrukturen vor. Kiesige Substrate verschiedener Körnung werden in den Abschnitten mit Mindestwasser sehr veränderlich mit Fließgeschwindigkeiten zwischen etwa 0,2 und 1,5 m/s überströmt. Die mittleren Wassertiefen wechseln, je nach Abflusssituation, zwischen 0,5 und 2,0 m. Im Wehrarm Ladenburg nehmen mit Rückgang der Fließgeschwindigkeit die Anteile feiner Substratfraktionen zu, die stellenweise beidufrig als Schlamm- und Sandbänke angelandet sind.
Historisches Wanderfischgewässer
Um die heutige Situation der Fischfauna und der Wanderfische am Unteren Neckar verstehen zu können, ist es notwendig, sich den ursprünglichen Zustand des Neckars und seiner Fischfauna vor Augen zu führen. Aus der historischen Entwicklung des Neckars heraus - ausgehend vom weitestgehend unbeeinträchtigten, natürlichen Neckar - mit den oftmals dokumentierten vielfältigen dynamischen Einflüssen, lassen sich Gründe für die beobachteten Veränderungen im Fischbestand herausarbeiten. Auch wenn die Angaben in zeitlicher und fachlicher Hinsicht möglicherweise lückenhaft erscheinen, sind sie wertvolle Hilfen zur Erfassung der fischfaunistischen Gesamtentwicklung am Unteren Neckar der letzten etwa 200 Jahre.
Aus Fang- und Marktberichten früherer Zeiten wissen wir einiges über die seinerzeit gefangenen Fischarten und -mengen. Grundsätzlich gut verwertbare Aufzeichnungen der Neckar-Fischfauna liegen demzufolge für solche Arten vor, welche sei-nerzeit dem menschlichen Verzehr zugeführt wurden - dazu zählen insbesondere die Wanderfische. Vor dem Neckar-Ausbau beschrieb GÜNTHER (1853) etwa 30 Fischarten im Neckar. Er berichtet: der „Neckar ist nicht besonders fischreich, die Donau ist mit grösserem Fischreichthum“ versehen. Nach seiner Auffassung liegt dies daran, dass der Donaulebensraum grundsätzlich geeigneter ist, dort auch eine „sorgfältiger gepflegte Fischerei“ vorläge. Auch unterläge der Neckar einem stärkerem Befischungsdruck bei allen Größenklassen. Der Maifisch wanderte bis Heilbronn neckaraufwärts und das Meerneunauge wanderte aufwärts und bis in die Enz ein. Heute ist davon auszugehen, dass GÜNTHER nicht die gesamte Fischfauna erfasste und eher die Zahlen von ROHRMANN (1908) zutreffen. Nach ROHRMANN lebten Anfang des 20. Jahrhunderts rund 40 Fischarten im Neckar. In den vergangenen 50 Jahren hatte sich das Artenspektrum im Neckar offensichtlich noch nicht durchgreifend verändert. Noch Anfang des 20. Jahrhunderts kamen Lachse etwa in der Itter sehr häufig vor. Der letzte Lachs wurde dort im Jahr 1921 gestochen. ROHRMANN berichtet, dass Maifische im Neckar um 1870 noch so zahlreich aufstiegen, dass die Fischer und Schiffer vom nächtlichen Laichgeschäft der Maifische geweckt wurden. Die nach dem Laichgeschäft verendeten Maifische verrotteten an den Flussbauzeilen mit fürchterlichem Gestank. Der Aal war ziemlich häufig, Fluss- und Meerneunauge wurden nur gelegentlich gefangen, wobei das Flussneunauge häufiger war.
Durch seine Nähe zum Rhein waren insbesondere in den Wanderphasen einzelner Arten, wie Maifisch, Lachs und Barbe gute Fischereierträge zu erzielen. Lachse, die nachts im Neckar und an den Mündungen der Zuflüsse gestochen wurden, konnten früher in großer Anzahl gefangen werden und mussten an die kurfürstliche Küche abgegeben werden. Als Belohnung dafür erhielt der treue Fischer Wein und Brot.
Fluss mit viel Geschichte und Potenzial für Fließwasserarten
Zahlreiche Veränderungen des Unteren Neckars haben im Laufe des vergangenen Jahrhunderts teilweise abrupt und schließlich in allmählichen Folgedegradierungen zu einer erheblichen Verschlechterung der Lebensraumbedingungen der natürlichen Fischfauna geführt. Selbst die nun vorherrschenden, an die aktuelle Situation angepassten, anspruchslosen Fischarten sind u.a. wegen der vielfältigen Nutzungsansprüche am Neckar hinsichtlich ihrer Bestandsgröße unterentwickelt. Viele der genannten Eingriffe sind aus heutiger Sicht als irreversibel einzustufen. Zu den stärksten Einschnitten für die typischen Fließwasserarten zählt der Aufstau des Neckars, der sowohl im Artengefüge als auch bei der Bestandssituation der Neckarfischfauna zur durchgreifenden und nachhaltigen Erneuerung führte. Erst wenn die vorhandenen Barrieren geschliffen würden und der Neckar schlagartig seinen ursprünglichen Charakter als Fließwasserlebensraum wiedererlangt, könnte dieser innerhalb seines Bettes wieder naturnahe, vielfältige Strukturen schaffen und es würden sich dem ursprünglichen Zustand ähnliche Lebensraumbedingungen für Fische einstellen. Diese Entwicklung würde das Landschaftsbild des Neckartals stark verändern. Mit der Darstellung dieser zugegebenermaßen sehr lebhaften Vision kann jedoch vor Augen geführt werden, wie enorm eingeschränkt das ökologische Potenzial am Unteren Neckar durch seinen Aufstau derzeit ist.
Bis zur Auflösung der Stauhaltungskette könnte der Zustand der Fischfauna im beschriebenen Neckarabschnitt mit der Umsetzung lebensraumverbessernder Maßnahmen bei den meisten Arten durchaus auch innerhalb festgelegter Zwangspunkte aufgewertet werden. Solche Maßnahmen sind erforderlich, um die Bestände vorhandener natürlicher Arten zumindest zu erhalten oder gar weiter zu entwickeln. Zum Erreichen des eingeschränkten fischökologischen Entwicklungsziels auf der Ebene machbare Maßnahmen nach der EU-Wasserrahmenrichtline sind, im Vergleich zur Auflösung der Stauräume, nur wenige Maßnahmen möglich und auch erforderlich. Das fischökologische Potenzial ist für den gesamten Unteren Neckar dennoch bedeutend, da bislang nicht einmal die notwendigsten ökologischen Verbesserungen, wie die ausreichende Wiederherstellung der biologischen Durchgängigkeit an den Wehren, geschaffen wurden.
Die herausragende Stellung der beiden Wehrarme Ladenburg und Wieblingen kommt im Fokus der verbliebenen Elemente der Flussfischfauna besonders zur Geltung. Der Nachweis eines hohen Anteils an typischen Fischarten des strömenden Wassers und die zumindest vereinzelten Jungfischnachweise bei diesen Arten lassen den Schluss zu, dass eine erhebliche ökologische Aufwertung dieser Bereiche auch anderen Neckarabschnitten zugute kommt. Voraussetzung hierfür wäre die Ausschöpfung des Potenzials der verbliebenen Fließstrecken durch wesentliche Erhöhung des Mindestabflusses und der Umsetzung struktureller Maßnahmen im Mittelwasserbett. Aufgrund der besonderen Bedeutung dieser Abschnitte für die Neckarfischfauna erwächst die Strategie, solche besonderen Lebensraumrelikte des Neckars besonders aufzuwerten, damit die positiven Auswirkungen solcher Maßnahmen auch über längere Abschnitte hinweg zum Tragen kommen. Dies betrifft insbesondere die Versorgung des gesamten Neckars mit einer ausreichenden Anzahl an Fischen der potenziell natürlichen Fischfauna mit der Vorgabe der Vernetzung solcher besonderer Abschnitte zu funktionellen Einheiten. Mit dieser „Funktionsraumstrategie“ für Fließwasserfischarten kann in dem strukturell und hydraulisch stark naturfernen Neckar vermutlich am ehesten eine annäherungsweise naturnahe Fischbiozönose entwickelt werden. Ziel dieser Strategie ist es, mit den vorhandenen Ressourcen einen maximalen Effekt auf die Zielarten der potenziell natürlichen Fischfauna zu erreichen. Im Stauraum Ladenburg ist, im Gegensatz zu den Wehrarmen Ladenburg und Wieblingen, ein großes Potenzial bei solchen Fischarten gegeben, welche gegenüber der Fließgeschwindigkeit indifferent reagieren sowie bei den limnophilen Fischarten. Letztere können ebenfalls prägnante Elemente der Leitfischfauna ausbilden. Entsprechende Lebensräume können vergleichsweise einfach neu geschaffen und ebenfalls vernetzt werden.
Aktuelle Wanderfischnachweise
Mit der Beobachtungsstation am Unteren Neckar bei Ladenburg, welche durch die Rhein-Neckar-Pachtgemeinschaft betreut wird, sind Nachweise der Wanderfischarten Lachs und Meerforelle sowie des Fluss- und Meerneunauges gelungen. Im Frühjahr 2014 konnte auch der Maifisch, erstmals seit 80 Jahren, wieder bei Ladenburg nachgewiesen werden. Vor allem für die Neunaugenarten und den Maifisch ist mit einer Ausbreitung im Neckar auszugehen, wenn die Voraussetzungen bezüglich des Lebensraumes und der Durchgängigkeit erfüllt sind.
Die Entwicklung der Fischfauna des Neckars wird regelmäßig durch die Fischereiverwaltung des Landes überprüft. Der Neckar ist zwischen Flusskilometer 0 (Mündung in den Rhein) und 36,36 ein Fischereirecht des Landes Baden-Württemberg. Von dort weiter flussaufwärts ist die Bundesrepublik Fischereirechtsinhaberin, vertreten durch die Wasserstraßenverwaltung.
Von besonderer Bedeutung ist der Neckar für den Europäischen Aal von der Rheinmündung bis zur Einmündung der Enz. Nach den Managementplänen zur Verbesserung der Bestandssituation des bedrohten Aals ist dieser Abschnitt Programmgewässer für den Aal.
Mindestabfluss entscheidend
Die meisten der über 20 Neckarkraftwerke zwischen Mannheim und Stuttgart sind Flusskraftwerke. Im Unteren Neckar gibt es jedoch 2 Ausleitungskaftwerke mit nicht eingestautem Urneckar: die Ilvesheimer Schleife und der Neckar flussabwärts des Kraftwerks Wieblingen. Diese mehrere Kilometer langen Abschnitte weisen ein sehr hohes fischökologisches Potenzial auf und sind für die Fortpflanzung von Fließwasserarten unter den Fischen wichtige Räume. Voraussetzung für die ökologische Funktionsfähigkeit der Laichplätze ist eine ausreichende Durchströmung dieser Abschnitte. Seit dem Jahr 2012 erhält die Ilvesheimer Schleife einen Durchfluss von 13 m3/s - was einer Verdoppelung des ursprünglichen Mindestabflusses entspricht. In Wieblingen wird noch kein geregelter und ökologisch begründeter Mindestabfluss abgegeben. Nach den hydromorphologischen Voraussetzungen in der Altneckarstrecke wird jedoch nach Expertenmeinung auf der Grundlage spezifischer Erhebungen ein Durchfluss von 16 m3/s erforderlich sein, welcher über das Stützwehr abgegeben wird. Dieses ist seit vielen Jahren durchbrochen und die gewässerökologischen Verhältnisse sind dadurch ganz vorzüglich. Durch einen starken Wechsel an Fließgeschwindigkeiten und Wassertiefen haben sich unmittelbar unterhalb der Durchbruchstelle vielfältige aquatische Lebensräume entwickelt. Sogar die im Unteren Neckar so seltenen Kieslaichplätze liegen an dieser Stelle in hoher Qualität vor.
Am Neckar bewegt sich was
Die Bundeswasserstraßenverwaltung ist seit dem 1. März 2010, mit Inkrafttreten des neuen Wasserhaushaltsgesetzes (WHG), verantwortlich für die aufwärtsgerichtete Durchgängigkeit an den Bundeswasserstraßen - also auch am Neckar. Es ist davon auszugehen, dass sukzessive - nach über 80 Jahren Stillstand - wieder Bewegung in die Fischfauna kommt und Wanderungen über die Barrieren hinweg künftig wieder möglich sein werden. Dabei muss sowohl die flussaufwärts als auch die abwärtsgerichtete Wanderung wieder hergestellt werden. Offensichtlich aufgrund der zu erwartenden hohen Baukosten ist ein ausreichender Fischschutz mit Abstiegsanlage an den zahlreichen Wasserkraftanlagen des Neckars noch nicht eingerichtet. Aufgrund der aktuellen rechtlichen Interpretation ist davon auszugehen, dass die Neckar AG als Tochter der EnBW und Besitzerin der meisten Wasserkraftanlagen, die Herstellung der abwärtgerichteten Passierbarkeit für Fische in Bälde an sämtlichen Standorten herstellen muss.
Seit Jahren befinden sich die verantwortlichen Akteure in eine Planungs- und Forschungsphase.