Es ist über 200 Jahre her, als die Murg in ihrem Unterlauf vom “Bändiger des Rheins“ Johann Friedrich Tulla erstmalig begradigt und später auch mit einem Doppel-Trapezprofil ausgebaut wurde. Diese technische Flussform hatte den einzigen Zweck, das Hochwasser rasch in Richtung Rhein abzuführen. Der Hochwasserschutz an der Murg, wie auch an allen anderen Flüssen der Region, wurde seit damals zunehmend ausgebaut und wird auch heute noch fortlaufend verbessert. Das Ergebnis des Ausbaus ist die kanalisierte Flusslandschaft wie wir sie kennen, mit einem dramatisch veränderten Lebensraum. Aus dem vormals abwechslungsreichen und hochdynamischen Naturfluss entstand ein kanalisiertes Gerinne mit stark reduzierten ökologischen Funktionen. Heute hat der Hochwasserschutz an Brisanz noch zugenommen, da im Zuge der damaligen Hochwasserfreilegung die Siedlungen immer näher an den Fluss vordrangen und mit ihnen die Werte, welche durch Hochwasser beeinträchtigt würden. Dennoch hat das Regierungspräsidium Karlsruhe einen ersten Schritt gewagt und auf einer Länge von mehreren 100 m die Ufer und den Fluss naturnäher umgestaltet – finanziert über eine Ausgleichsmaßnahme.
Uferpartien wurden entfesselt und abgeflacht, und darüber hinaus wurden kleine Ableitbuhnen und Kiesbänke gestaltet. Sogar eine kleine Insel entstand. Dadurch hat die Ökologie am Fluss erheblich gewonnen und zumindest auf diesem Abschnitt darf der Fluss wieder ein wenig sein ursprüngliches Gesicht zeigen. Hierzu mussten die Dämme gesichert werden, der Spielraum für die Natur bleibt auf den Bereich zwischen den Hochwasserdämmen begrenzt. Dennoch kann sich das Ergebnis sehen lassen und es bleibt abzuwarten, wie die Murg mit dieser neuen Situation umgeht. Die Flussbauexperten des Regierungspräsidiums gehen davon aus, dass die Murg bei Hochwasser diesen Abschnitt umgestalten und verändern wird. Genau das ist gewollt, weil nur auf diese Weise funktionsfähige Habitate für die Flusslebewelt aufs Neue entstehen können.
Weitere Abschnitte sind für eine abwechslungsreiche Revitalisierung vorgesehen, zum Beispiel in Rastatt und bei Gaggenau. Zwar liegen die betroffenen Flussabschnitte nicht im Bereich der zentralen Lachswiederansiedlung, der sogenannten Kernzone, doch diese Maßnahmen zeigen sehr deutlich, dass die Murg längst mehr ist als ein Industriefluss. Die jüngeren Entwicklungen für eine lebendige Murg sind unübersehbar und die neu gestalteten Abschnitte werden nicht nur von der Natur sondern auch von den Anliegern sehr gut angenommen: in einer solchen Landschaft fühlt sich der Mensch wohl und hält sich darin auch gerne auf. Die inzwischen stark voranschreitende ökologische Aufwertung der Murg, durch Strukturmaßnahmen, durch die Mindestabflussabgabe in den Ausleitungsstrecken sowie durch die Durchgängigkeitsbauwerke, schafft einen Lebensraum auch für die Bevölkerung. Erst die neue angelegten Zugangsmöglichkeiten zum Fluss schaffen eine emotionale Nähe zu diesem besonderen Gewässer vor der Haustür. In den nächsten Jahren wird eine große Vielzahl verschiedenartiger ökologischer Maßnahmen in der Murg zwischen Rastatt und Baiersbronn umgesetzt werden. Dann wird die Murg wieder ein lebendiger Fluss sein und die Murgtäler stolz auf die jährlich wiederkehrenden Lachse. Auch das würde Tulla gefallen, weil der Hochwasserschutz nach wie vor erhalten bleibt.